Mit der Kraft von Pflanzen gesund werden: Heilmittelvielfalt steht für Wahlfreiheit
Beim Thurgauer Phyto-Valley-Kongress sprachen Vertreter integrativer Medizin über die ungewisse Zukunft der Pflanzenheilkunde.
Der Originaltext des St. Galler Tagblattes vom 30. September 2022 im Zitat:
Sonnenhut zur Stärkung des Immunsystems, Kamille gegen Entzündungen, Löwenzahn für die Verdauung. Christoph Kalbermatten ist überzeugt, was vor unserer Haustüre wächst, hilft gegen unsere Beschwerden.
Seit Jahrhunderten angewendet
Die Firma Ceres in Kesswil stellt 60 verschiedene Pflanzenpräparate her. 40 Prozent der Pflanzen stammen aus Wildsammlung, 60 Prozent von Feldern «aus unserer Gegend». Seit Jahrhunderten, wenn nicht Jahrtausenden werde das Erfahrungswissen der integrativen Medizin millionenfach angewendet, gab Kalbermatten seinen Zuhörerinnen und Zuhörern zu bedenken. Anlässlich eines Netzwerkanlasses «Thurgauer Phyto Valley» sprach der CEO von Ceres-Heilmitteln und Vorstandsmitglied des Schweizerischen Verbands für komplementärmedizinsche Heilmittel (SVKH) in seiner Firma.
Edith Graf-Litscher Nationalrätin und Präsidentin des Dachverbands für Komplementärmedizin initiierte den Netzwerk-Anlass. Phyto Valley steht hier für ein Forschungscluster für pflanzliche Heilmittel. Es berühre sie, dass das Thurgauer «Phyto Valley» endlich durchgeführt werden konnte. «Wenn Innovation nicht mehr möglich ist, läuft unser System nicht mehr richtig.» Als Vertreter des Kantons sprach Regierungsrat Urs Martin. Er freute sich über die aus der ganzen Schweiz angereisten Gäste.
Projekt soll Wissen um Pflanzenheilkunde retten
Eine davon ist Gastgeberin Ceres. Gemeinsam mit Partnern wolle Ceres bis Ende Jahr mit einem Vademecum für integrative Therapeutika online gehen. Denn der Erfahrungsschatz über die Pflanzenheilkunde drohe verloren zu gehen. Es gebe wenig belastbare Daten – «die Gründe kennt ihr», wendet sich Kalbermatten an die Kongressteilnehmenden. Im Gegensatz zu pharmazeutischen Arzneimitteln ist die Forschung an Pflanzen-, also Phytotherapeutika, finanziell nicht attraktiv.
Erst 2008 sei ein Standardwerk für Antroposophische Mediziner erschienen. Seit 2019 beteilige sich seine Firma an einem Vademecum der Hufeland-Gesellschaft für ganzheitliche Naturheilkunde, aus dem nun das digitale Format entstehen soll. Hier sollen Fallberichte von Ärzten, Apothekern, Hebammen und weiteren Fachtherapeuten anonymisiert gesammelt und strukturiert werden. Über Filterfunktionen können dann zu Symptomen geeignete Arzneimittel, deren Dosierung, Therapiedauer und andere Parameter gesucht werden. Christoph Kalbermatten:
«Die integrative Medizin ist eine Erfahrungsmedizin.»
Und mit Hilfe der Erfahrungen vieler möchte er sie vor dem Vergessen bewahren.
Vielfalt der Arzneimittel ist in Gefahr
Obwohl Hausmittelchen und Alternativmedizin in der Bevölkerung beliebt sind, gibt es seit Jahren einen starker Rückgang der Produkte. An Hochschulen werde Komplementärmedizin immer weniger gelehrt, gibt Kalbermatten als einen Grund dafür zu bedenken.
Herbert Schwabl ist Präsident der SVHK und CEO der Padma AG. Er sieht die Arzneimittelvielfalt vor allem deswegen in Gefahr, weil Phytoarzneimittel zunehmend von erheblichen Preissenkungen betroffen seien. Seit 2012 verbuchen Phytotherapeutika in der Schweiz einen Rückgang um 40 Prozent. Allein seit 2021 sind 14 Prozent dieser Arzneimittel ohne Indikation, das bedeutet ohne genaue Zuschreibung eines Medikaments als Massnahme für ein bestimmtes Krankheitsbild, vom Markt verschwunden. Dabei:«Vielfalt bedeutet Freiheit, wenn Theapierende und Therapierte eine Auswahl haben», sagt Schwabl in seinem Referat zum Thema «Arzneimittel in Gefahr?»
Gründe dafür sieht er in den Gesetzestexten, die trotz Reformen des Arzneimittelgesetzes relativ schwammig formuliert seien. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) agiere hier mehr im Sinne der Pharmaindustrie. Hinzu käme, dass der Bund den steigenden Krankenkassenprämien mit Preissenkungen bei Arzneimittel gegensteuern wolle. Da Phytotherapeutika von Krankenkassen nicht vergütet würden, beträfen sie die Preissenkungen besonders. «Das BAG ist zu mächtig. Beim Erstellen der Spezialitätenliste fehlen die gesetzlichen Leitplanken», so der SVKH-Präsident. Mit der Spezialitätenliste werden die Höchstpreise für Arzneimittel geregelt.