INSPIRATION

Bericht über Melatonin und Serotonin aus der PRAXIS für Gesundheit und Lebensfreude

Melatonin – Serotonin

Ein wunderbarer Artikel über die Gegenspieler Melatonin und Serotonin

Der Originaltext in DIE WELT vom 4. März 2013 im Zitat:

„Im März werden wir wieder zu Menschen“

Ein kleiner Kern im Gehirn steuert den Schlaf-Wach-Rhythmus und sorgt dafür, dass sich die Körperfunktionen den Jahreszeiten anpassen. Im Frühling heißt das: weniger Melatonin, mehr Serotonin.

„Einer schließt den Himmel auf – kommt die liebe Sonne raus.“ So endet ein Kinderlied, und so beginnt der März. Endlich Sonne!

Der meteorologische Winter ist vorüber, überall war zu lesen und zu hören, dass dies der trübste Winter seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war – seit Anfang Dezember gab es nur 96 Sonnenstunden, wie der Deutsche Wetterdienst mitteilte.

Das aber ist nun vorbei, der Frühling eilt mit Riesenschritten auf uns zu und verteilt – hoffentlich großzügig – Sonnenstrahlen. Für die innere Uhr des Menschen ist Licht der wichtigste Zeitgeber.

Über die Netzhaut der Augen gelangt das Licht zu einem kleinen Bereich über der Kreuzung der Sehnerven – dem Suprachiasmatischen Nucleus (SCN). Dieser Kern von der Größe eines Reiskorns verarbeitet die Lichtreize und leitet sie zur Zirbeldrüse weiter.

Serotonin am Tag, Melatonin in der Nacht

Zusammen sind diese beiden verantwortlich dafür, den Körper am Tag wach und leistungsfähig zu halten und in der Nacht für ruhigen Schlaf zu sorgen. Dazu werden Hormone ausgeschüttet, die unter anderem die Körpertemperatur, den Blutdruck und Stoffwechselvorgänge regulieren.

Kommt viel Licht im SCN an, dann veranlasst er die Produktion von Serotonin, einem der wichtigsten Botenstoffe im zentralen Nervensystem. Der auch als Glückshormon bekannte Neurotransmitter hellt die Stimmung auf und steigert den Antrieb – also genau das, was man tagsüber gebrauchen kann.

Bei wenig Licht dagegen wird die Produktion von Serotonin gedrosselt und mehr Melatonin in Umlauf gebracht. Je weniger Licht in der Umgebung vorhanden ist, desto höher ist der Melatoninspiegel.

Und Melatonin macht vor allem eins: müde. Weil ein grauer Wintertag nur halb so lang und bei Weitem nicht so hell wie ein Tag im Sommer ist, ist der Melatoninspiegel in dieser Zeit dauerhaft erhöht.

Mehr Schlaf und Schokolade im Winter 

Deshalb schlafen wir im Winter mehr – nach Angaben von Schlafforschern rund eine halbe Stunde pro Nacht – und sind auch tagsüber träger.

Da die Botenstoffe auch Auswirkungen auf den Stoffwechsel haben, verlangt der Körper in der dunklen Jahreszeit vermehrt nach Kohlenhydraten, etwa Schokolade.

Aus dem Überschuss an Melatonin ergibt sich gleichzeitig ein Mangel an Serotonin. Das kann negative Gefühle fördern: von Aggressivität über Angst bis hin zur bleiernen Traurigkeit.

Nur bei einigen Menschen, etwa zwei Prozent der Bevölkerung, führt der Lichtmangel zu einer sogenannten Winterdepression, die jedes Jahr zur gleichen Zeit wieder auftritt und sich in vermehrtem Schlafbedürfnis, Gewichtszunahme und depressiver Stimmung ausdrückt.

Licht und Stimmung sind eng verknüpft

Die meisten aber retten sich mit etwas schlechterer Laune und der Weihnachtsschokolade über den Winter, und sobald die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken dringen, geht es mit der Stimmung und der Unternehmungslust wieder bergauf.

Etwas schwerer haben es da die Bewohner skandinavischer Länder, die im Vergleich deutlich länger im Dunkeln sitzen.

„Ein befreundeter Wissenschaftler, der in Stockholm ein Forschungsinstitut leitet, sagte einmal zu mir: ‚Im März werden wir wieder zu Menschen'“, sagt der Psychologe Jürgen Zulley von der Universität Regensburg.

Dass Licht und Stimmung eng zusammenhängen, ist indes keine Neuigkeit. Der Arzt Aretaeus, so Zulley, wusste schon vor 2200 Jahren, dass man einen Lethargiker in die Sonne legen müsse, damit es ihm besser geht.

Wirklich erforscht wurde die Wirkung einer gezielten Lichttherapie aber erst in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Inzwischen weiß man, dass sie ein einfacher und sehr effizienter Weg ist, Depressivität zu vertreiben.

Ein grauer Wintertag hat 1000 Lux

Besonders bei leicht- bis mittelschweren Verstimmungen hilft sie: Untersuchungen zufolge reicht eine Lichtdusche besonders kurz nach dem Aufstehen mit einer Intensität von 2500 bis 10.000 Lux.

Zum Vergleich: An einem grauen Wintertag sind es draußen um die 1000 Lux, und eine helle Glühbirne bringt es auf rund 50 Lux. Die übliche Beleuchtung in Innenräumen erreicht daher lediglich eine Beleuchtungsstärke zwischen 100 und 500 Lux.

Etliche Studien konnten zeigen, dass etwa 40 Minuten Lichttherapie täglich ausreichen, um die Symptome der saisonal depressiven Stimmung in etwa 80 Prozent aller Fälle bedeutsam zu lindern, und zwar innerhalb von nur zwei bis drei Wochen.

Das Gehirn wird durch das intensive Licht zu einer Ausschüttung von Serotonin angeregt, was einen antidepressiven Effekt hat. Es ist vielleicht kein Zufall, dass gerade finnische Forscher jüngst eine Studie veröffentlicht haben, die eine neue Form der Lichttherapie genauer unter die Lupe genommen hat. 

Wirkt Lichttherapie auch über das Ohr?

Timonen Markku und seine Kollegen von der University of Oulu testeten an 13 unter Winterdepression leidenden Versuchspersonen, ob auch Licht, das über Kopfhörer an die Ohren verabreicht wird, einen antidepressiven Effekt hat.

Und tatsächlich: Zehn Minuten am Tag genügten, um bei zehn der 13 Probanden nach vier Wochen alle Symptome zum Verschwinden zu bringen. Wie aber soll das möglich sein, wenn das Gehirn seine Informationen über das Licht von der Netzhaut bekommt?

Matthaeus Willeit, Präsident der „Society for Bright Light Treatment and Biological Rhythms“, sagt, es gebe seit einiger Zeit Hinweise darauf, dass es möglicherweise noch einen zweiten Weg geben könnte – und zwar über das Blut.

Bereits vor zehn Jahren habe eine amerikanische Studie herausgefunden, dass es Patienten auch hilft, wenn das Licht in die Kniekehlen gegeben wird. Dort ist die Haut besonders dünn und es gibt viele Blutgefäße.

Lichtanpassung gab es, bevor es Augen gab

„In den vergangenen Jahren hat man außerdem Zellen entdeckt, die nur für chronobiologische Funktionen zuständig sind, unabhängig vom Sehen – und zwar in der Netzhaut ebenso wie im Gehirn“, sagt er.

Da es aus evolutionärer Sicht plausibel sei, dass sich die Anpassung an Tag und Nacht bereits entwickelte, bevor Organismen überhaupt Augen hatten, muss es eigentlich bestimmte Mechanismen geben, die unabhängig von der Netzhaut Licht erfassen können.

Die Forschung sei aber noch nicht sehr weit und einige Ergebenisse, wie das der Studie an der Kniekehle, konnten bislang nicht abschließend wissenschaftlich bewertet werden.

„Der Ansatz ist interessant“, sagt Willeit, „aber ob Licht über andere Kanäle als die Netzhaut das Gehirn erreicht – dieser Verdacht hat sich bislang weder verhärtet noch ist er gut untersucht.“

Willeit weist außerdem darauf hin, dass es in der finnischen Studie keine Placebo-Gruppe gegeben habe. Man wisse also nicht, ob der Effekt tatsächlich auf die Lichttherapie zurückzuführen sei oder ob es sich um einen Placeboeffekt handele.

Auch der Chronobiologie-Experte Jürgen Zulley ist vorsichtig. „Das ist eine Pilotstudie – ich bin da erst einmal skeptisch und denke man muss warten, ob das Ergebnis sich replizieren lässt.“

Ein Überbleibsel des Winterschlafes

Wie und über welche Wege das Licht in unser Gehirn gelangt, ist also noch nicht ganz geklärt – dass es dort seine positive Wirkung entfaltet, ist aber gesichert.

Willeit selbst hat sich in dem Team um Siegfried Kasper und Christoph Spindelegger von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Medizinischen Universität Wien eingehender mit der jahreszeitlichen Schwankung von Serotonin beschäftigt.

„Wie wir aus anderen Studien wissen, ist Serotonin essenziell an der Modulation von Emotionen beteiligt“, erklärt Spindelegger. Das Wiener Forscherteam konnte an gesunden Probanden zeigen, dass unter Lichtmangel weniger Serotonin zwischen den Zellen übertragen wird als bei intensiveren Lichtverhältnissen.

Auch dass der Transport zwischen den Zellen sich nach einer Lichttherapie wieder normalisiert, ist inzwischen wissenschaftlich belegt. Die Körperfunktionen passen sich also mühelos den Jahreszeiten an, und das emotionale Wintertief ist sozusagen eine sanfte Form des Winterschlafes.

Das hatte früher durchaus seine Berechtigung: Im Winter war es schwieriger, Nahrung zu finden; Bewegung aber kostete aufgrund der Kälte mehr Energie. Da half es, den Körper auf Sparflamme arbeiten zu lassen. Nur heute scheint das nicht mehr so gut zu funktionieren.

„Eine Hypothese ist“, so Zulley, „dass der Lichtmangel im Herbst und Winter nicht per se ein Problem sein muss. Das gibt es erst dann, wenn es, wie bei uns, eine Kollision zwischen unserer biologischen Ausstattung und den Ansprüchen der Industriegesellschaft gibt.